Erbteil zu Lebzeiten vorzeitig auszahlen lassen?

Vater mit 2 kleinen Kinder spaziert durch Wiese mit Mohnblumen

Wenn Kinder erwachsen werden, stellt sich aus der Sicht der Eltern oft die Frage, ob es sinnvoll ist, einen Erbteil zu Lebzeiten des Kindes vorzeitig auszuzahlen. Dies ist meist mit der Abgabe eines Erb- und/oder Pflichtteilsverzichts seitens jenes Kindes verbunden, das eine vorzeitige Zuwendung erhält.

Im folgenden Interview werden einige Fragen, die in diesem Zusammenhang immer wieder auftauchen, mit Rechtsanwalt Dr. Stephan Briem, einem Experten für Erbrecht, erörtert.

Hinweis: Der einfachen Lesbarkeit halber wird auf das Gendern der Begriffe verzichtet. Sämtliche Begriffe beziehen sich sowohl auf das männliche als auch auf das weibliche Geschlecht.

webempfehlung: Ganz grundsätzlich, ist es sinnvoll, einen Erbteil vorzeitig auszuzahlen?
Dr. Briem: Diese Frage kann man aus der Sicht der Eltern und aus der Sicht des Kindes beantworten. Aus der Sicht der Eltern ist das vorzeitige Auszahlen eines Erbteils sinnvoll, wenn das Kind beruflich und familiär gefestigt ist und Mittel für die Familiengründung und/oder den Erwerb einer Wohnung benötigt.
Aus der Sicht des Kindes hat das vorzeitige Auszahlen eines Erbteiles den Vorteil, dass der Erbteil in jener Lebensphase zufließt, in der die elterlichen Mittel am dringendsten benötigt werden (Familiengründung, Berufsstart, Erwerb einer Wohnung oder eines Hauses, etc.). Da das vorzeitige Auszahlen des Erbteiles gewöhnlich mit einem Erb- und Pflichtteilsverzicht verbunden ist, sollte das Kind allerdings nur zustimmen, wenn der vorzeitig ausbezahlte Betrag in etwa dem zu erwartenden Erbteil entspricht.

webempfehlung: Ist ein Erb- und Pflichtteilsverzicht an eine bestimmte Form gebunden?
Dr. Briem: Ja. Der Erb- und Pflichtteilsverzicht ist nur dann rechtswirksam, wenn er in der Form eines Notariatsaktes vom Verzichtenden abgegeben wird.

webempfehlung: Erhöht sich bei einem Erb- und Pflichtteilsverzicht von einem Kind der Pflichtteil allfälliger anderer Kinder?
Dr. Briem: Nein. Der Pflichtteilsverzicht eines Kindes erhöht nicht den Pflichtteil der anderen Kinder. Der Pflichtteilsverzicht erhöht vielmehr die Testierfreiheit des Erblassers.

webempfehlung: Kann ein Pflichtteilsverzicht auch zurückgenommen werden?
Dr. Briem: Ja, das ist durchaus möglich. Die Zurücknahme des Pflichtteilsverzichts erfordert allerdings, dass diese Vereinbarung, also der Widerruf des Pflichtteilsverzichts, sowohl vom Erblasser als auch vom Verzichtenden unterschrieben wird. Ein einseitiger schriftlicher Widerruf durch den Erblasser reicht nicht aus. Noch weniger ein mündlicher Widerruf oder eine schlüssige Handlung.

webempfehlung: Was wäre eine derartige schlüssige Handlung des Erblassers?
Dr. Briem: Der Erblasser könnte trotz des Erb- und Pflichtteilsverzichts das verzichtenden Kind in seinem Testament zum Erben einsetzen oder ihm einen Pflichtteil oder etwa ein Vermächtnis zuwenden. Sofern das Testament gültig errichtet wird, ist dies durchaus möglich. Sollte sich das Testament jedoch als ungültig herausstellen, so würde der Verzichtende nichts erben, da er auf den Erb- und Pflichtteil verzichtet hat und ein einseitiges Abgehen davon (etwa durch ein Testament) nicht möglich ist.

webempfehlung: Kann ein Erb- und Pflichtteilsverzicht angefochten werden?
Dr. Briem: Das ist durchaus möglich. Insbesondere die Abgabe eines Erb- und Pflichtteilsverzichts gegen eine Zuwendung seitens des Erblassers, stellt einen zweiseitigen Vertrag dar. Dieser kann nach etwa wegen Irrtum oder Zwang angefochten werden.
Es ist allerdings zu beachten, dass der Pflichtteilsverzicht ein gewisses Glückselement in sich einschließt. Der Pflichtteilverzicht kann also nicht mit dem Argument angefochten werden, dass sich das Erbe nachträglich vergrößert hat und die vorzeitige Zuwendung nicht mehr angemessen ist. Eine Ausnahme liegt nur dann vor, wenn etwa durch eine Lottogewinn eine unverhältnismäßige Bereicherung des Erblassers eingetreten ist, die in keiner Weise vorhersehbar war. Ein Anfechtungsgrund wäre auch, wenn der Erblasser die Notlage des Verzichtenden ausgenutzt hat, um diesen zu einem Erb- und Pflichtteilsverzicht zu bewegen.

webempfehlung: Kann auch ein Kind auf den Erb- und Pflichtteil verzichten?
Dr. Briem: Grundsätzlich ist das möglich. Da das Kind nicht geschäftsfähig ist und es sich um ein Rechtsgeschäft handelt, das außergewöhnlich ist, ist die Zustimmung des anderen Elternteils und des Pflegschaftsgerichts erforderlich.

webempfehlung: Ist die vorzeitige Zuwendung an den Verzichtenden bei der Berechnung der Pflichtteile der anderen Kinder zu berücksichtigen?
Dr. Briem:
Ja. Das kann auch vom Erblasser nicht ausgeschlossen werden. Sonst würden nämlich durch die vorzeitige Zuwendung an ein Kind die Pflichtteile der übrigen Kinder gemindert. Die Zuwendung an den Verzichtenden ist daher wie eine Schenkung bei der Berechnung der Pflichtteile der übrigen Kinder zu berücksichtigen.

webempfehlung: Wie wirkt sich der Erb- und Pflichtteilsverzicht aus, wenn der Verzichtende vor dem Erblasser stirbt? Erben dann seine Kinder dennoch?
Dr. Briem: Sofern nichts anderes vereinbart ist, erstreckt sich der Erb- und Pflichtteilsverzicht auch auf die Kinder des Verzichtenden.

webempfehlung: Wie wirkt sich eine vorzeitige Zuwendung steuerlich aus?
Dr. Briem: Hier muss unterschieden werden. Handelt es sich um eine Barzahlung, um Wertpapiere oder um sonstige bewegliche Sachen, so fällt keine Steuer an, da es in Österreich keine Erbschaftssteuer gibt. Anders ist die Situation wenn vorweg eine Liegenschaft auf das Kind übertragen wird. Hier ist die, wenn auch deutlich ermäßigte, Grunderwerbsteuer und zusätzlich die Eintragungsgebühr zu bezahlen.

Kontakt:

Dr. Stephan Briem
Dr. Stephan Briem

Rechtsanwalt Dr. Stephan Briem
Landstraßer Hauptstraße 147/5
1030 Wien
Tel: 01/710 82 66
E-Mail: stephan.briem@briem-law.at

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